Ringvorlesung „Was ist schon normal? Körperbilder und Sexualethik im Diskurs“
Die Ringvorlesung ist transdisziplinär ausgerichtet und besteht aus Beiträgen aus den Bereichen Sozial-, Medizin-, Sexual- und Familienethik unterschiedlicher Fächer. Alle Beiträge setzen sich kritischen mit einem grundlegenden Paradigma der Genderforschung auseinander: der Frage nach Normalisierungsprozessen.
Ethisch lässt sich das ‚Normale' sowohl als beabsichtigtes wie als unbeabsichtigtes Instrument der Benachteiligung und Unterdrückung, als auch als Mittel der Anerkennung pluraler Lebensformen einsetzen. Letzteres zeigt sich an Prozessen der Gleichstellung, bei denen vormals als ,abnormal‘ stigmatisierte Verhaltensweisen und Lebensformen aufgewertet werden. Sichtbarstes Beispiel der letzten Jahre ist die gesetzliche Einführung der Ehe für Alle.
Vor diesem Hintergrund werden in der Ringvorlesung Theoriefiguren aus Theologie und den psychosozialen Fachgebieten vorgestellt und mit Blick auf bisherige Normalisierungsprozesse kritisch reflektiert. Hier kann sodann nach Potentialen neuer Normalisierung in Bezug auf Sexualität und Körper gefragt werden. Der Anspruch der Ringvorlesung ist es zu einem Problembewusstsein für Diskriminierungen und Marginalisierungserfahrung beizutragen und aus feministischer Perspektive nach Möglichkelten menschenfreundlicher und lebensdienlicher Praktiken und Deutungen zu fragen.
Die Ringvorlesung findet an den beiden Universitätsstandorten Jena und Hildesheim statt und wird über Zoom übertragen.
Die Ringvorlesung wird organisiert von Jun.-Prof. Dr. Sarah Jäger und Prof. Dr. Maren BienertExterner Link.
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Donnerstags 16:15 – 17:45 UhrDonnerstags 16:15 – 17:45 UhrLink zur Veranstaltung
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11. April: ‚Normal is just a cycle on the washing machine.’ Körperbilder und Religion in Social Media – Dr. Christina Costanza
Die Bilderkulturen in Social Media prägen Körperwahrnehmungen. Sie verstärken Schönheitsideale und zelebrieren Körperkulte. Social Media haben Einfluss darauf, was als normal gilt – und damit zugleich darauf, was als einzigartig eine besondere Anerkennung findet. Sie sind Räume für Alternativbewegungen wie Body Positivity, für die Wahrnehmung von Vielfalt sowie für die Kritik und Transformation von Normen. Der Vortrag erkundet diese Phänomene aus theologischer Perspektive: Welche Rolle spielen Körperbilder in der religiösen Kommunikation in Social Media? Und welche Bedeutung hat umgekehrt die Religion für die Inszenierung und Rezeption von Körperbildern?
Vortrag digital
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18. April: Sexualität und die Prävention sexualisierter Gewalt – aktuelle Befunde aus der Sexualwissenschaft – Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß
Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen sind die Themen Prävention von sexualisierter Gewalt und Förderung sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung in den Blick der Öffentlichkeit gerückt. Fachkräfte sind zunehmend in der Verantwortung, „sichere Orte“ für Kinder und Jugendliche (und weitere Zielgruppen) herzustellen (Stichwort „Schutzkonzepte“). Dafür müssen sie auch fit werden, Fragen der Sexualität und der Prävention sexualisierter Gewalt im Umgang mit der jeweiligen Zielgruppe zeitgemäß zu thematisieren. Eigene Vorstellungen und Vorannahmen gilt es zu reflektieren, um für die Bedarfe des Gegenübers offen zu sein. Doch was sind die aktuellen Bedarfe? Welche Veränderungen zeigen sich im Hinblick auf Sexualität? In welchem Maß treten sexuelle Übergriffe auf? Welche aktuellen Fort- und Weiterbildungen gibt es? Heinz-Jürgen Voß eröffnet einen Zugang aus sexualwissenschaftlicher Perspektive und gibt Impulse für die sich anschließende Diskussion.
Vortrag digital
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25. April: Der normale Mensch? Zu den Perspektiven evangelischer Anthropologie auf Normalität – Prof. Dr. Dorothee Schlenke
In evangelischer Theologie und Kirche vollzieht sich gegenwärtig ein bemerkenswerter anthropologischer Paradigmenwechsel von traditionell normativer Zweigeschlechtlichkeit hin zur offenen Leitvorstellung geschlechtlicher Vielfalt in, zwischen und jenseits ihrer binären Kodierung. An Grundmotiven protestantischer Anthropologie, insbesondere an der Vorstellung der Gottebenbildlichkeit aller Menschen, soll diese Entwicklung kritisch-rekonstruktiv aufgezeigt und in ihren Konsequenzen für praktisch-theologische und ethische Handlungsfelder exemplarisch veranschaulicht werden.
Vortrag in Hildesheim
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2. Mai: Mütterlichkeit als Beruf? Pflegearbeit zwischen 'Jederfrautätigkeit' und managerialer Professionalisierung – Prof. Dr. Tine Haubner
Pflegearbeit gilt trotz zunehmender Professionalisierung vielen nach wie vor als 'Jederfrautätigkeit': Eine Tätigkeit, für die man ein großes Herz aber nicht unbedingt eine professionelle Qualifikation benötigt. Dieser Umstand verdankt sich einer spezifischen Vergeschlechtlichung des Pflegeberufes und einer damit verbundenen Abwertung, die bereits in den historischen Ursprüngen des Berufes angelegt ist und bis heute fortwirkt. Der Vortrag beleuchtet den Zusammenhang von Geschlecht und Abwertung in einem Feld der verberuflichten Sorgearbeit im Spannungsfeld zwischen 'Systemrelevanz', neuer Professionalisierung und fortbestehender Abwertung als 'weiblicher Berufung'. Dabei werden grundsätzliche Fragen in Bezug auf die Professionalisierung und Rationalisieurng von Care aufgeworfen und aktuelle Entwicklungen einer einseitigen Professionalisieurng im Feld der Altenpflege problematisiert.
Vortrag in Jena
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16. Mai: Gewaltsame Normativierung: Konversionsbehandlungen als Versprechen auf Erlösung und Heilung – Dr. Klemens Ketelhut
Konversionsbehandlungen bezeichnen Versuche, die sexuelle Orientierung und/oder die Geschlechtsidentität von queeren Menschen so zu ändern, dass sie sich einem cis-heterosexuellen Gesellschaftsbild anpassen oder cis-heterosexuell leben. Konversionsbehandlungen waren und sind auch in Deutschland Realität und können als besonders extreme Formen heteronormativer Gewalt verstanden werden. 2023 wurde die erste bundesweite Studie zum Thema Konversionsbehandlungen durchgeführt, die ich zum Ausgangspunkt meiner beiden Überlegungen nehme, die ich in zwei große Abschnitte eingeteilt habe:
(i) Welche zentralen Begründungs- und Deutungsmuster können für die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Konversionsbehandlungen in unterschiedlichen christlichen Gruppierungen/Richtungen rekonstruiert werden? In welchem Verhältnis stehen zentrale Diskurse zur Begründung einer Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von Konversionsbehandlungen in religiösen Gemeinschaften zueinander?
(ii) Wie werden diese Begründungs- und Deutungsmuster "nach außen" kommuniziert? Diese Frage ist vor allem seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen am 24.06.2020 bedeutsam, da das Gesetz unter anderem ein so genanntes Werbeverbot enthält, das die Anbieter*innen von Konversionsbehandlungen in die Situation gebracht hat, ihre Außenkommunikation so anzupassen, dass sie nicht Gefahr laufen, gegen das Werbeverbot zu verstoßen.
In der Diskussion des Vortrags könnten zum Beispiel weitere notwendige Forschungsfragen entwickelt werden.
Vortrag in Hildesheim
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23. Mai: Körper und Behinderung
Exkursionswoche Hildesheim
Jena: Sitzung ohne Gast zu "Körper und Behinderung"
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30. Mai: Normal=gesund? Theologische Erwägungen zum kranken Körper – Prof. Dr. Thorsten Moos
„Gesundheit“ ist ein schwieriges, weit ausgreifendes, potentiell mit Erwartungen überladenes Konzept. Der Vortrag diskutiert verschiedene Gesundheitsbegriffe aus der Perspektive einer theologischen Ethik und fragt, welche Normalitätsvorstellungen sich damit verbinden – im medizinischen, aber auch im kirchlich-theologischen Bereich.
Vortrag digital
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6. Juni: Sexualethik im Generationenverhältnis. Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt – Prof. Dr. Meike Baader
Vortrag in Hildesheim
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13. Juni: Die Evangelische Sexualethik und die Frage der Prostitution – Perspektiven zu Menschenwürde, Macht und Körperlichkeit – Nathalie Eleyth
Vortrag in Jena
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20. Juni: 1+1 = normal? Polyamorie im Kontext evangelischer Sexual- und Familienethik – Prof. Dr. Michael Coors
Michael Coors Vortrag verhandelt das Thema Polyamorie im Kontext evangelischer Sexual- und Familienethik. Trotz des gesellschaftlichen Wandels und der Pluralisierung von Familien- und Lebensformen jenseits der heteronormativen Kleinfamilie bleibt die theologische Ethik auffällig stumm gegenüber Beziehungsformen im Bereich der konsensuellen nicht-Monogamie. Dieser Befund überrascht insofern, da polyamore Beziehungsformen ein hohes Maß an Verantwortung, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Transparenz für sich beanspruchen und somit durchaus anschlussfähig wären für die Diskurse innerhalb der evangelischen Sexual-und Familienethik. Dieser Befund überrascht insofern nicht, da der Protestantismus ein – gerade mit Blick auf sein historisch gewachsenes und weiterhin normativ wirkendes Eheverständnis – eigentümliches Verhältnis zum Recht hat.
Vortrag digital
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27. Juni: Ist das Natürliche das Normale? – Überlegungen zur Bedeutung von „Natur“ im Zusammenhang mit Körperbildern und Sexualethik – Niklas Schleicher
Im Nachdenken über die Transformationen, die Sexualethik und Körperbilder in der Gegenwart erfahren, spielt die Frage nach dem Natürlichen eine Rolle. Welche Bedeutung haben die natürlichen oder auch biologischen Gegebenheiten? Geht es um die Überwindung der Natürlichen oder eine Neubeschreibung? Anhand konkreter Beispiele in der Debatte um Transidentität soll dieser Frage nachgegangen und das Verständnis von „Natur“ kritisch beleuchtet werden.
Vortrag in Jena
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4. Juli: (Un)sichtbare Lebensformen. Zur ethischen und politischen Relevanz einer Kritik der Repräsentation – Dr. Katja Winkler
Lebensformen in ihrer ganzen Vielfalt zu leben, hängt stark davon ab, ob diese in der Öffentlichkeit sichtbar werden können. Öffentliche Unsichtbarkeiten thematisieren postkoloniale Theorien in ihrer Kritik der Repräsentation und reflektieren insbesondere die Macht von Normalitätsvorstellungen, die im Bereich von Familie, Sexualität und Geschlecht wirken. Im Vortrag wird die Kritik der Repräsentation vorgestellt und ihre Relevanz für eine Ethik und Politik der Lebensformen diskutiert.
Vortrag in Hildesheim